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Neuen Halt finden – Yoga nach der Geburt | Ein Interview mit Patricia Fürst in der Viveka

Was in der folgenden Darstellung unter dem Begriff „Rückbildungsyoga“ beschrieben wird, bezieht sich genau genommen nicht nur auf die Zeit nach der Geburt eines Kindes. Die Thematik von Beckenbodenschwäche und Rektusdiastase, also einer Lockerung der mittigen Bindegewebslinie des Rumpfes, ist von Bedeutung für alle Frauen: nach einer Schwangerschaft, in der Menopause, kurz für Frauen jeden Alters, die ihre Körpermitte stärken wollen. Dennoch ist die Arbeit an diesen beiden Themen nach einer Geburt besonders wichtig, haben doch die neun Monate der Veränderung und körperlichen Belastung ebenso wie die Geburt selbst hohe Anforderungen an Bauch, Becken und Rücken der Mütter gestellt – ich möchte sie hier zusammenfassend ihre „Mitte“ nennen – deren Auswirkungen sich nach der Geburt auf teilweise dramatische Weise zeigen. Dieser „Mitte“ wieder beim Zurückfinden zu einer stabilen Funktion zu helfen, sehe ich als Aufgabe des Rückbildungsyoga.

Teamwork

Haben wir im Yoga immer zuerst die Wirbelsäule im Auge, so kommt bei der Rückbildung mit der Beckenbodenarbeit ergänzend der Blick auf den gesamten Rumpf hinzu. Ein solcher Blick verbindet alle Bereiche des Rumpfes mit der Beckenbodenmuskulatur zu einem aktiven Ganzen, einem Team: die Körperrückseite – mit der Wirbelsäule und der tiefliegenden Rückenmuskulatur -, die Körpervorderseite – mit dem Brustkorb, der Rippenmuskulatur und der tiefliegenden Bauchmuskulatur – und das Zwerchfell als obere Begrenzung der Körpermitte. Wie nun arbeiten diese Teamplayer? Beim Einatmen kontrahiert die tiefliegende Rückenmuskulatur– die Wirbelsäule richtet sich auf. Zudem wird der Brustkorb beim Einatmen durch die Kontraktion der Rippenmuskulatur angehoben.

Gleichzeitig erfahren die schrägen Bauchmuskeln eine Dehnung und mit ihnen dehnen sich auch die Beckenbodenmuskeln. Beim Ausatmen entspannt die tiefliegende Rückenmuskulatur – die Wirbelsäule beugt sich. Der Brustkorb sinkt durch das Entspannen der Rippenmuskulatur. Gleichzeitig kontrahieren die schrägen Bauchmuskeln zusammen mit der inneren Zwischenrippenmuskulatur und sorgen so ebenfalls dafür, dass sich der Brustraum verkleinert. Die Beckenbodenmuskulatur kann diesem Impuls folgen und ebenfalls kontrahieren, um so die nötige Rumpfstabilität „von unten“ zu gewährleisten. Eine kraftvolle, stabile Mitte entsteht durch das Teamwork verschiedener Muskeln im Rumpf: Dem Zusammenspiel der schrägen Bauchmuskeln, der tiefliegenden Rückenmuskulatur sowie der Zwerchfellmuskulatur und der Beckenbodenmuskulatur.

Der Beckenboden

Die Beckenbodenmuskulatur lässt sich in drei Schichten unterteilen, alle haben Kontakt zu einem zentral liegenden Faszien-Zentrum (Abb. 3).

An den flächigen netzartigen Beckenbodenmuskeln der tiefliegendsten Beckenbodenschicht mit Ursprung vom Schambein in Richtung Steißbein bilden Muskelfasern beider Seiten die sogenannten Kontinenzschlingen (Abb. 4), welche die Körperöffnungen des Anus und der Vagina so umgeben, dass Urin und Stuhl sicher gehalten werden können (Kontinenz). Sie bilden eine Gurtfunktion und sorgen für eine schnelle elastische Rückfederung.

Zwei weitere wichtige Muskeln stehen mit den Kontinenzschlingen in Verbindung und arbeiten mit ihnen zusammen: der Musculus obturator internus und der Musculus piriformis. Sie verlassen das Becken seitlich und setzen am Oberschenkelknochen, nahe beim Hüftgelenk an und bewirken eine Außenrotation im Hüftgelenk. Der berühmtere der beiden Muskeln ist der Piriformis-Muskel Er bewirkt eine Außenrotation im Hüftgelenk und unterstützt zudem das seitliche Wegführen des Oberschenkels.

Die mittlere Beckenbodenschicht (Abb. 5) verläuft quer und ist zwischen den Sitzbeinhöckern und der Symphyse trapezartig aufgespannt Bei erhöhtem Druck im Bauchraum – etwa wenn durch das körpereigene Gewicht oder durch Tragen und Heben Last auf den Beckenboden kommt – reagiert diese Muskelplatte mit einer reflektorischen Gegenkontraktion. Zudem trägt auch sie zur Sicherung des Harn- und Stuhlgeschehens bei.

Die äußerste Schicht des Beckenbodens (Abb. 6) nun verläuft in Längsrichtung zwischen vorn und hinten; sie lässt sich als „Ausscheidungsschicht“ beschreiben, kontrolliert also Urin- und Stuhlabgang.

Unter Schwangerschaft und Geburt kommen neue Aufgaben auf den Beckenboden zu. Er trägt und hält nicht nur wie gewöhnlich die Bauchorgane, die Harnblase, die Gebärmutter und den Darm, sondern muss auch noch das Gewicht des Babys, der Plazenta, des Fruchtwassers und der wachsenden Gebärmutter halten – bis zu sechs Kilogramm zusätzlich.

Bauchwand und Rumpf

Eine feste doch elastische senkrechte Bindegewebsnaht in der Mitte des Bauches, die sogenannte Linea alba – „Weiße Linie“ – entsteht durch die Vereinigung der flächenhaften Sehnenplatten der seitlichen und quer verlaufenden Bauchmuskeln. Auch die geraden Bauchmuskeln entsenden Fasern in dieses feste breite Band. Es reicht von der Brustbeinspitze bis zum Schambein. Am schwächsten ausgeprägt ist es in Höhe des Bauchnabels. Bei einem gesunden Bauch ist die Linea alba straff und schmal wie eine Kordel.

Sehr häufig jedoch kommt es im Rahmen einer Schwangerschaft zu Störungen in diesem verwobenen Gefüge; die starke und über die langen Monate bestehende Dehnung der Rumpfmuskulatur führt zu einer Überdehnung des Fasziengewebes der Linea Alba – eine Rektusdiastase (Abb. 7) entsteht.

Im oben genannten Kontext des Teamworks für eine stabile Mitte kann eine Rektusdiastase zu Problemen im gesamten Rumpf führen; das Zusammenspiel zwischen Beckenboden, Bauch- und Rückenmuskulatur sowie dem Zwerchfell ist gestört, denn fällt einer der Teamplayer aus, so müssen die anderen an dessen Stelle treten. Durch die instabile Vorderseite muss die Körperrückseite mehr koordinative Kontraktionsarbeit leisten. Mitunter kommt es zu einem stark erhöhten und langanhaltenden Spannungszustand der unteren Rückenmuskulatur, was zu chronischen Rückenschmerzen führen kann.

Geht es um eine Therapie der Rektusdiastase, – gleich ob im oder außerhalb des Rahmens einer Rückbildungsarbeit – sollte also immer der Gesamtzusammenhang im Blick sein und im Kursaufbau das Zusammenspiel der unterschiedlichen beteiligten Muskeln berücksichtigt werden.

Meine eigenen Erkenntnisse dazu resultieren aus zahlreichen Fortbildungen und spezieller Literatur zum Thema. Meine therapeutische Beckenboden-Ausbildung sowie der Erfahrungsschatz aus zahlreichen Gruppenkursen schufen weitere wichtige Grundlagen. Doch theoretische Kenntnisse, ja selbst ein sehr geschulter Blick reichen meiner Erfahrung nach nicht aus, Übungen so zu gestalten, dass sie zu einer Verbesserung der körperlichen Befindlichkeiten der Frauen führen, die eine Rektusdiastase entwickelt haben. Deshalb berühre ich die Frauen – mit ihrem Einverständnis – und ertaste die Situation dort. Gemeinsam mit der betreffenden Frau komme ich so zu einem genaueren Bild der faszialen Struktur.

Durch das Ertasten der Rektusdiastase und der Faszien am Bauchraum lässt sich noch genauer feststellen, wie sehr die Bauchmuskulatur und damit das Zusammenspiel aller Muskeln am Rumpf von Ungleichgewichten betroffen sind. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil der Schweregrad einer Diastase sich durch falsches Bewegen oder falsches Training verschlechtern, umgekehrt aber auch durch richtiges Bewegen und richtiges Training verbessern kann. Übungen können auf dem Hintergrund dieser Kenntnis nun entsprechend individuell angepasst werden.

Yogalehrerinnen, die mit Frauen vor und nach der Geburt arbeiten, möchte ich deshalb dazu ermutigen, einige einfache Grundlagen des Tastens zu erlernen und anzuwenden.

Das Ertasten einer Rektusdiastase

1. Die Breite des Spalts tasten In Rückenlage mit aufgestellten Beinen beginnt man mit dem Tasten am unteren Teil des Bauches: Vom Schambein bis zum Bauchnabel, dann vorsichtig um den Bauchnabel herum. Zuletzt tastet man vom Bauchnabel bis zur Brustbeinspitze in Richtung Zwerchfell.

Dabei wird mit den Fingern senkrecht an die entsprechende Stelle gedrückt. Die Teilnehmerin wird gebeten, nun ganz leicht den Kopf beim Ausatmen abzuheben, um Druck im Bauchraum zu erzeugen. – der richtige Zeitpunkt zum Tasten ist, wenn zu spüren ist, wie die beiden Muskelstränge des geraden Bauchmuskels beginnen, sich zu aktivieren. Nun wird der Abstand zwischen den beiden Muskelsträngen anhand von Querfingern oder Zentimetern gemessen.

2. Den Zustand (Tiefe und Festigkeit) des Bindegewebes wahrnehmen: Je tiefer der Spalt, um so schwächer ist das Bindegewebe. Der Zustand des Bindegewebes kann anhand der Rinnen an den Fingern auf der Handinnenseite festgestellt werden: Wie tief kommt man beim Tasten in den Spalt hinein?

  • Fingerspitze bis 1. Rinne = fest
  • Rinne bis 2. Rinne. = mittel
  • Alles über die 2. Rinne hinaus = weich


Achtung: Beim Tasten ist große Achtsamkeit geboten – häufiges Tasten kann das Bindegewebe zusätzlich aufdehnen.

Beckenarbeit nach der Geburt

Angesichts der beschriebenen Gesamtsituation liegt es nahe, dass ein Beckenbodentraining wichtig ist, das den Beckenboden flexibel stärkt.

Diese Arbeit unterteile ich in meinem Unterricht in einen Basiskurs und einen Aufbaukurs, die sich jeweils über acht Termine erstrecken. In beiden Kursen spielt die Wissensvermittlung der oben genannten Zusammenhänge eine wichtige Rolle. Viele Teilnehmerinnen entwickeln während des Kurses gerade auch durch das Verständnis dieser Zusammenhänge eine große Nähe zu ihrer Körpermitte. Wenn sie verstehen, fühlen und aktiv vertraut werden mit den Signalen ihres Körpers, werden sie diesbezüglich selbstbestimmter und können deshalb Veränderungen ihrer Beckenbodenschwäche oder Rektusdiastase eigenständig beeinflussen und regulieren. Dabei helfen ihnen die angemessenen Übungen, die sie im Kurs erlernen.

Durch angeleitete Eigenbeobachtung und im Austausch mit anderen Teilnehmerinnen können die Frauen zunächst selbst viele Veränderungen ihres Bauchbereichs kennenlernen. So etwa die Menge und Intensität der Dehnungsstreifen, die Veränderungen am Aussehen des Bauchnabels, eine Erhebung in Höhe des Bauchnabels beim Abheben des Kopfes…

Yoga für die weibliche Körpermitte: ein Basiskurs

Der Anfang

Ich betreue Schwangere und junge Mütter in Gruppen wie auch im Einzelkontakt. Besuche ich Erstgebärende nach der Geburt zu hause, gehe ich für die ersten Rückbildungsübungen mit ihr zusammen direkt ins Schlafzimmer; ich lege mich mit auf das Bett, um der Wöchnerin möglichst viel Komfort zu ermöglichen und das Baby zu bewundern.

In der Gruppe geht es beim ersten Präsenztermin zunächst ums Ankommen; es soll leichtfallen. Dazu zählt die Sicherung der Grundbedürfnisse: Wärme, das Bereitstellen von Raum und Arbeitsgrundlagen sowie ausreichend Wasser zum Trinken. In Gruppen mit Babys kommen noch weitere logistische Dinge hinzu, wie der Transport der Babies (Kinderwagen, Trage, Windeleimer etc.). Wir besprechen, wo gewickelt, gestillt, beruhigt werden kann.

Findet der Kurs ohne Babys statt, biete ich den Frauen immer an, frei mit ihren Handys umzugehen. Sie können sie mit in den Kursraum nehmen und jederzeit schauen, ob ihr Baby zuhause gut versorgt ist oder jemand sie ruft. Das passiert übrigens äußerst selten.

Meine Kurse unterscheiden zwischen Gruppen mit und Gruppen ohne Babys. Was aber immer im Blick zu halten ist: Kurse mit dem Fokus Beckenboden und Rektusdiastase werden von Teilnehmerinnen besucht, die oft auch körperliche Schmerzen und eine mehr oder weniger lange Leidensgeschichte haben. Und: Ich stelle mir als Kursleiterin die Frage, was ich tun kann, um den alltäglichen Stress, der aus der neuen Situation mit dem Baby erwächst, in eine Kursstunde zu verwandeln, die jeder einzelnen Frau ein gutes Gefühl zu ihrer aktuellen Lebensrealität vermitteln kann.

Gruppen mit und ohne Babys sind grundsätzlich verschieden, insbesondere bezüglich der Art der Selbstwahrnehmung der Frauen, der Gruppendynamik, dem Stressverhalten und auch darin, dass der Fokus einmal nur auf sich selbst, das andere Mal auf sich und das Baby gerichtet ist.

Insbesondere Kurse mit Babys können eine wunderbare Erfahrung der Unmittelbarkeit sein, denn Babys sind kleine Seismographen, die sehr genau die Stimmung ihrer Vertrauensperson wahrnehmen und neben ihren eigenen Bedürfnissen, diese Stimmung in ihrer Baby-eigenen Art wiedergeben. Stress der Mutter etwa wird mit Unruhe des Babys quittiert. Ich habe in meinen Gruppen mit Babys sehr positive Erfahrungen gemacht. Von Stunde zu Stunde wird es immer ruhiger und entspannter.

Die Einführung

Gleich ob Präsenzkurs oder Online-Format – der erste Termin findet immer ohne das Baby statt, denn es bedarf großer Konzentration und Aufmerksamkeit, um die Grundlagen der Beckenbodenarbeit zu verstehen und nutzen zu können.

Beim ersten Termin nehme ich mir Zeit für eine 60-minütige Einführung. Sie beinhaltet die genaue Erklärung der Muskulatur des Beckenbodens anhand eines Beckenbodenmodells, Wahrnehmungsübungen der einzelnen Muskel- und faszialen Beckenbodenschichten, das Aufzeigen der Verbindung von Beckenboden, Zwerchfell und tiefliegenden Bauch – und Rückenmuskeln als Teamplayer, das Erforschen der wichtigsten Atemräume und die Erklärung, warum beim Ausatmen der Beckenboden kontrahiert wird und nicht beim Einatmen. Auch stelle ich eine erste Querverbindung zur Rektusdiastase her und verweise darauf, dass im Kurs eine Extra- Stunde dieses Thema behandeln wird.

Am Ende der Einführung platziere ich bewusst den Hinweis, dass Üben allein nicht genügt – es muss auch Spaß machen. Dazu erkläre ich kurz den Zusammenhang zwischen unseren Basalganglien, ein Ort in unserem Gehirn, der u.a. für motorische Abläufe bei Gewohnheiten zuständig ist. Eine zur Gewohnheit gewordene Bewe- gung funktioniert – einfach formuliert – so: Jedes Mal, wenn wir eine Gewohnheit ausführen, erhält der Körper eine Belohnung in Form eines guten Gefühls wie z. B. Entspannung, Freude oder Wohlbefinden. Die Routine einer Handlung ist also immer eingebettet zwischen Auslöser und Belohnung. Nun sollen aber neue Bewegungsabläufe im Kurs erlernt und zu einer guten Gewohnheit werden. Um also bestmögliche Erfolge beim Üben dieser feinen tiefliegenden Muskeln zu erzielen, ist es von großer Wichtigkeit mit Freude zu üben, um dem Körper eine Belohnung zu signalisieren und die Bewegungsabläufe regelmäßig zu wiederholen. Für die meisten Frauen ist diese Botschaft das entscheidende Aha- Erlebnis: Hatten sie sich doch den Kurs als harte Arbeit für ein Ziel danach vorgestellt (wieder joggen können, etc) ohne Vorfreude auf den Prozess des „Im-Jetzt-Seins“.

Der Kursverlauf

In dem achtwöchigen Basiskurs stelle ich nur zwei Übungsreihen vor, um auch beim Üben Stress zu vermeiden, der entstehen kann, wenn ein Kurs für die eine oder andere Frau nicht kompatibel ist. Ich möchte, dass die Frauen verstehen, dass „weniger mehr ist“, gerade wenn es um die Tiefenmuskulatur des Beckens geht. Jeder Kurstermin beinhaltet zusätzlich zur Yoga-Übungsreihe eine Wissensvermittlung zu den Themen Zwerchfellatmung, zum Erkennen und Tasten von Rektusdiastase und Nabelbruch, zur Anatomie und Funktion der Bauchmuskulatur, zur Zusammenarbeit aller Muskeln im Rumpf als Teamplayer, zu Alltagsregeln und Ritualen für den täglichen Gebrauch sowie zum Thema Beckenboden und Sexualität. Die Teilnehmerinnen erhalten nach und nach Handouts (zum Beispiel zur Grundübung „Die Welle” – s. Kasten) und Audios aller wichtigen Übungen und Inhalte im Anschluss an die jeweilige Kursstunde, damit sie während des Unterrichts keine Notizen machen müssen. Allein dieses Angebot trägt zu großer Entspannung der Teilnehmerinnen bei.

Viele Frauen haben vor ihrer ersten Geburt keinen besonderen Bezug zu ihrem Beckenboden, noch haben sie bewusst dessen Bekanntschaft gemacht. Lernen die Frauen erst nach der Geburt ihren Beckenboden kennen, fühlen sie ihn häufig nur als Muskulatur, die beeinträchtigt ist. Nach der Geburt hat die Beckenbodenmuskulatur oftmals durch den Druck des Pressens unter der Geburt und auch durch Druck beim Toilettengang an reflektorischem Gegenhalten und Elastizität verloren. Die Frauen nehmen den Beckenboden dann entsprechend eher als Problem denn als Freund wahr. Wird jedoch schon in der Schwangerschaft mit dem Beckenboden gearbeitet, so zahlt sich das jetzt aus: Konnten die Frauen verstehen und lernen, dass ein gut funktionierender Beckenboden beweglich ist und dem Kind auf seinem Weg durch das Becken helfen konnte, seinen Weg ans Licht der Welt zu finden, so ändert sich ihr Bezug auf diesen Körperbereich nachhaltig.

Rückbildungsarbeit im Besonderen

Eine immer wieder gestellte Frage nach der Geburt ist: Wann soll mit der Rückbildungsarbeit angefangen werden? Grundsätzlich gilt, dass es nie zu spät ist, mit dem Rückbilden der Beckenbodenmuskeln und deren Teamplayern anzufangen. Jedoch sollten Frauen nicht zu früh mit der Rückbildung beginnen – hier gilt: keine starken Kontraktionen des Beckenbodens im frühen Wochenbett.

Wann das frühe Wochenbett endet, lässt sich aus meiner Sicht nicht in festen Tagen oder Wochen benennen: Frühestens – in Absprache mit der Nachsorge-Hebamme – wenn alle Geburtsverletzungen gut verheilt sind. Der Körper sollte nicht zu früh in Positionen gezwungen werden, die sich noch nicht gut anfühlen. Das Wochenbett heißt nicht umsonst so: Optimal, aber je nach Lebensrealität der einzelnen Frauen nicht immer umsetzbar wäre, das Liegen dem vielen Sitzen vorzuziehen.

Bis zu 42 Wochen lang hat der Beckenboden das Baby getragen, das im Laufe der Monate zudem immer schwerer wurde. Der Beckenboden war für diese Zeit mehr gefordert als zuvor, seine Muskeln hatten bei jedem Druck durch Schwerkraft bedingte Belastungen wie etwa langes Gehen, Stehen oder Sitzen, Tragen, Halten und Heben reflektorisch gegenhalten müssen. Hinzu kam die zunehmende räumliche Enge für die Blase und die Organe im Becken. Dann hat die Frau ihr Kind geboren.

Wie ist es wohl um den Zustand des Beckenbodens nach der Geburt bestellt, wenn das Baby den Geburtsraum – das kleine Becken – verlassen hat? Die Sehnen und Muskeln hatten sich ausgedehnt und sind in dem Raum, den das Baby nach der Geburt hinterlassen hat, zu lang, um ihre ursprüngliche Funktion erfüllen zu können. Sie müssen sich erst auf ihre ursprüngliche Länge „zurückbilden“. Das Netz aus Muskeln und Sehnen ist also nicht gut gespannt und elastisch. Die Frauen schil- dern diesen Zustand etwa als Fremdkörpergefühl in der Vagina („alles drückt nach unten“) beim Gehen und Heben. Oft spielt die Blase aufgrund des muskulären Ungleichgewichts verrückt – Inkontinenz ist nach der Geburt ein häufiger, jedoch in den allermeisten Fällen vorübergehender Zustand.

In Bezug auf den Beckenboden ist das Wochenbett im Liegen in Verbindung mit kleinen Gängen ohne große Belastung auf den Beckenboden also sehr sinnvoll, damit die Muskeln und Sehnen entlastet werden sowie Geburtsverletzungen heilen können. Hier gilt die alte goldene Regel (an die sich aber nur noch wenige Frauen halten können): 10 Tage im Bett, 10 Tage um das Bett, 10 Tage mit vielen Pausen im Bett und um das Haus herum.

Was lassen, was tun?

Sobald die Frau nach der Geburt ohne Schmerzen sitzen kann, empfehle ich zunächst, mit ersten Wahrnehmungsübungen zuhause zu beginnen. Dabei rate ich jeder Frau, sich mit dem Rückbilden Zeit zu lassen und die Beckenbodenmuskeln möglichst wenig zu belasten. Hierzu zählt besonders das Toilettenverhalten. Die Toilettenzeit sollte eine Zeit der Ruhe sein – Dies ist die erste und wichtigste Übung für die Rückbildung. Die jungen Mütter sind damit beschäftigt, sich der neuen Lebenssituation mit Kind anzupassen. Sie sind müde und lernen ihre Babys erst kennen. Wenn das Baby durch lautstarkes Schreien zeigt, was es braucht, sind Toilettengänge für die Mutter eine Herausforderung. Viele Frauen beeilen sich daher auf der Toilette, um schnell wieder bei ihrem Kind zu sein.

Ein Grundsatz ist hier: kein Pressen auf der Toilette. Viele Senkungen von Gebärmutter oder Blase geschehen erst nach der Geburt und sind sozusagen hausgemacht. Der Hauptgrund dafür ist die Last, die durch das körpereigene Gewicht auf ihm ruht – allein der Rumpf wiegt mehr als zwanzig Kilogramm – sowie der muskuläre Druck, den die Frauen durch Tragen, Heben und Halten sowie durch Pressen auf der Toilette ausüben. Eine wunderbare Übung der Selbstfürsorge ist deshalb, den Fokus bei jedem Toilettengang mit einem tiefen Atem auf sich selbst zu richten. Hier können die Werkzeuge aus dem Yoga wahre Schätze sein: Das Erlernen von Innehalten, von Entspannen durch langen tiefen Atem und zu üben, wie sich ein Fokus immer neu ausrichten lässt.

Grundübung: „Die Welle“

Schritt 1

Liege auf dem Rücken, stelle die Beine auf, die Füße hüftbreit. Beginne jede Beckenboden-Übung mit der Entspannung. Atme tief ein und wieder aus. Folge dem Atem Rhythmus. Atme ein – spüre wie sich dein Bauch nach oben wölbt – atme aus – spüre wie die Bauchdecke sich wieder senkt. Vertiefe nun deinen Einatem und nutze beim Ausatmen das fff. Behalte diese Atemtechnik fur die gesamte Übung (Schritt 1 – 4) bei. Eselsbrücke: So lange du das fff hören kannst – solange atmest du aus!

Schritt 2
Die Welle mit Beckenbewegung (noch ohne Beckenbodenmuskeln!)

Liege auf dem Rücken, stelle die Beine auf, die Füße hüftbreit. Folge dem Atem Rhythmus. Atme ein – spüre wie sich dein Bauch nach oben wölbt – atme aus – spüre wie die Bauchdecke sich wieder senkt. Beginne nun die Atembewegung durch den Korper zu unterstützen, indem du beim Einatmen den unteren Rücken von der Unterlage wegbewegst (Lordosierung) und beim Ausatmen, den unteren Rücken auf die Unterlage zu bewegst (Streckung). Dadurch entsteht ein Beckenkippen – beim Einatmen bewegt sich das Schambein weg in Richtung Füße, beim Ausatmen bewegt sich das Schambein in Zugrichtung Nase.

Schritt 3
Die Welle mit Beckenbewegung und Beckenbodenmuskeln

Liege auf dem Rücken, stelle die Beine auf, die Füße hüftbreit. Folge dem Atem Rhythmus. Atme ein – spüre wie sich dein Bauch nach oben wölbt – atme aus – spüre wie die Bauchdecke sich wieder senkt. Beginne nun die Atembewegung durch den Korper zu unterstützen, indem du beim Einatmen den unteren Rücken von der Unterlage wegbewegst (Lordosierung) und beim Ausatmen, den unteren Rücken auf die Unterlage zu bewegst (Streckung). Dadurch entsteht ein Beckenkippen – beim Einatmen bewegt sich das Schambein weg in Richtung Füße, beim Ausatmen bewegt sich das Schambein in Zugrichtung Nase.

Wenn du einen guten Rhythmus Atem Beckenkippen gefunden hast, kommt jetzt die Arbeit der Beckenbodenmuskulatur dazu: Beim Ausatmen verschließe deine 3 Öffnungen (Anus, Harnröhrenöffnung und Vagina) beim Einatmen löse möglichst langsam die Spannung wieder auf.

Schritt 4
Übergang zur Rektusdiastase Übung

Übe die Welle in allen 3 Schritten. Fur die Arbeit an der Rektusdiastase liegt die Aufmerksamkeit auf dem Atem. Die Atemtechnik ist die Zwerchfellatmung. Atme vollstandig mit fff aus und nehme die natürliche Atempause nach dem Ausatmen wahr. Dann atme wieder ein. Nach dem nächsten Ausatmen halte bewusst für eine Zählzeit die Luft an. Erhohe die Zählzeit im Halt nach dem Ausatmen bis maximal 4 (Steigere den Halt ebenfalls in Schritten). Achte darauf, dass dein Atem fein und gleichmaßig fließt und du kein Engegefühl spürst. Sollte dies der Fall sein, kehre zurück zu einer angenehmen Atmung.

Übe die Welle; wahrend du mit fff ausatmest, bewegt sich der untere Rücken in Richtung Unterlage und du verschließt alle drei Öffnungen. Am Ende der Ausatmung wahrend du die Luft anhaltst, ziehst du den Damm nach innen und oben (3. Beckenbodenschicht) und aktivierst den Bauchnabel (in Richtung Wirbelsäule). Einatmend lässt du langsam die Spannung im Beckenboden los und der untere Rücken hebt sich wieder von der Unterlage ab.

Wir beginnen die Rektusdiastase-Übung im Liegen, um den Beckenboden zu entlasten und arbeiten uns mit verschiedenen Übungen in Richtung Schwerkraft (Bauchlage, Unterarmstand, Vierfüßler, Stehen). Dies erhöht den Schwierigkeitsgrad der Übung.

Übungen für das frühe Wochenbett

Im frühen Wochenbett findet Yoga selten seine Form in einer Übungsreihe von Asanas. Dennoch kann der Yoga hier sehr präsent sein durch das Wahrnehmen des Atems und das zur Ruhe kommen durch das Ausrichten der Gedanken. Eine wertvolle Übung ist das angeleitete Ausrichten der Gedanken auf den Beckenboden. Hinzu kommen kurze, einfache, wirksame Übungen wie zum Beispiel das „Ausgerichtete Stehen“ und andere Gleichgewichtsübungen.

Jede Übung, die das Gleichgewicht fördert, ist auch eine Beckenbodenübung. Zusammen mit den Teamplayern – den tiefen Bauch- und Rückmuskeln gewährleistet der Beckenboden so die Aufrichtung, gibt durch ein dynamisches reflektorisches Gegenhalten jeder Bewegung Halt und sorgt dafür, dass alle Bauchorgane sicher gehalten werden.

Übung „Ausgerichtetes Stehen“

„Komme in den Stand und spüre zu folgenden drei Punkten unter Deinen Füßen: Zur Mitte Deiner Ferse, zum großen Zeh, zum kleinen Zeh. Verbinde nun diese drei Punkte zu einem imaginären Dreieck und pendele Deinen Körper in kleinen Bewegungen über diesen drei Punkten hin und her, um in eine stabile und zugleich bewegliche Haltung zu gelangen. Der Körper darf sich ständig ein wenig bewegen, vielleicht wie eine Flipperkugel in einem Spielautomaten.

Lasse Spannung aus Deinen Schultern und Pobacken weichen, sodass Dein Becken gut in Bewegung kommen kann. Nun bewege das Becken in einer Kipp-Bewegung nach vorne und hinten und beginne auch, nach Belieben zu kreisen. Lenke Deine Aufmerksamkeit immer wieder auf die drei Punkte unter jedem Fuß.

Mit einer guten Basis in den Aufbaukurs

Ziel des Basiskurses ist, den Teilnehmerinnen zu ermöglichen, mithilfe des Atems und der „Teamplayer“ ihren Beckenboden wieder zu spüren und in eine elastische Grundspannung zurückzuführen. Sie haben das langsame Anspannen und das Loslassen der Beckenbodenmuskeln erlernt und erfahren, welche Bewegungen und Bewegungsabläufe hin zu einer stabilen Körpermitte hilfreich sind – aber auch, welche Risiken und Schäden hervorrufen können.

Hier setzt der Aufbaukurs an. Die Übungen, die hier praktiziert werden, die Erfahrungen, die dabei gemacht werden, sind komplexer und tiefgreifender als die bisher beschriebenen. In weiteren acht Kursterminen lernen die Frauen damit, die bisherige – und durchaus sinnvolle – Schonhaltung zu überwinden. Sie können ihr Basiswissen nun anwenden und vertiefen, um selbstbewußter im Umgang mit ihrer Körpermitte zu werden. Zur Veranschaulichung nur ein paar kurze Verweise: Auf der körperlichen Ebene bedeutet „Vertiefen“ nun, die Schwerkraft mit einzubeziehen. Vom Üben im Liegen geht es nun immer mehr in die Aufrichtung und das Üben im Stand. Hier spielen Gleichgewichtsübungen eine zunehmend große Rolle. Eine andere Art der Vertiefung des bisher Erlernten, bezieht den Atem mit ein. Ab der Mitte des Kurses erlernen die Teilnehmerinnen die Ujjâyî-Atmung bewusst einzusetzen, da sich mit dieser Atemtechnik die Zwerchfellbewegung verlangsamen lässt und sie so helfen kann, den Bauchinnendruck zu regulieren.

Und eine weitere Erfahrung können die Frauen aus diesem Kurs mitnehmen, eine Erfahrung, die sie in den ersten Jahren des Lebens mit ihrem Baby besonders brauchen: Es gibt aktive Entspannung. Nicht ein passives Erschlaffen lernen sie hier, sondern ein dynamisches Konzept von Entspannung, in dem jeder Anspannung die Gegenbewegung folgt, jeder Kontraktion eine Dehnung. Auch hier spielen die Atemtechniken des Yoga eine große Rolle, wobei ich versuche, die Aufmerksamkeit auf die Einatmung gleichermaßen zu legen wie auf die Ausatmung. In Bezug auf den Beckenboden lässt sich zudem so das übermäßige Kontrahieren der Beckenbodenmuskeln vermeiden: Hier offenbart sich ein wichtiges Thema, das bereits in der Einführung des Basiskurses und von da an möglichst regelmäßig erwähnt und in die Übungsreihen mit aufgenommen werden sollte: Mehr als die Hälfte der Frauen haben keinen zu schwachen sondern einen zu festen, unbeweglichen Beckenboden oder eine Mischform aus beiden. Sie brauchen einen anderen Fokus als den im Basiskurs beschriebenen: Das Üben der aktiven Entspannung.

Und es zeigt sich: Auch nach Abschluss der Beckenbodenarbeit kommen die Teilnehmer:innen, die durch die Impulse des Yoga Kompetenz und Zuneigung zu einer solchen Form von Selbstwahrnehmung und Selbstwirksamkeit entwickelt haben, gern weiterhin zur Yogapraxis. Patricia Fürst versteht sich als Aufklärerin der zweiten Generation. Nach dem „Was geschieht in unserem Körper“ der 70er Jahre, geht es ihr heute um die Aufklärung zur Frage „WIE kann ich selbst darauf Einfluss nehmen“.

Patricia ist Beckenbodentherapeutin und Rektusdiastaseberaterin, ausgebildete Lehrerin für „Mindful birthing and parenting“ (MBCP) sowie staatliche anerkannte Entspannungstherapeutin. In den letzten Jahren gab sie zahlreiche Fortbildungen u.a. für den Berliner Hebammenverband, Kangatrainerinnen, Physiotherapeut:innen Ärzt:innen und war als Dozentin für Beckenboden in Deutschland (Bebo) tätig. Viniyoga unterrichtet sie in ihrer Praxis „Das Becken“ in Berlin Rixdorf.

Seit 2019 bietet sie die zweijährige „birthlover Ausbildung – achtsame Geburtsbegleitung mit Yoga und Schwerpunkt Beckenboden“ – an.

www.dasbecken.de
www.birthlover.de

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