Ein Interview mit Beleghebamme Jessica Strickmann
Die Berliner Hebamme Jessica Strickmann ist Beleghebamme im Sankt Joseph Krankenhaus in Berlin, begleitet aber auch Hausgeburten. Sie ist jedoch noch viel mehr als das. Eigentlich sollte sie Durga Strickmann heißen. Durga (Sankrit: दुर्गा), ist die personalisierte schöpferische und mütterliche Kraft.
Durga ist der Inbegriff einer Kämpferin, die ihr „Kind“ mit allen Mitteln beschützt und befreit. Gleichzeitig ermutigt sie die Menschen dazu, sich selbst einen Ausweg zu suchen, selbst das Schwert zu heben und gegen negative Mächte und Kräfte anzukämpfen. Oder eben bei sich selbst nach der Ursache zu suchen.
Jessica Strickmann gründete zusammen mit ihrem Team das Hebammen Kollektiv Erdmutter in Berlin Wedding. Dort wird allumfassende Sorge getragen für die sich anvertrauenden Frauen vor, während und nach der Geburt.
Jessica lebt mit ihren drei Kindern in Berlin. Zudem ist sie fast immer (manchmal schläft sie auch) erreichbar nicht nur für ihre Kundinnen, sondern auch für all die Frauen – wie mich -die wieder einmal neugierig und wissbegierig an ihre Grenzen stoßen. Dann antwortet Jessica in der Regel über Sprachnachricht, weil das einfach schneller geht.
Patricia Fürst: Danke, dass Du meine Fragen beantwortest! Schön, dass ich Dich immer wieder fragen darf, wenn Unsicherheiten auftreten!
J.S.: Sehr gern.
P.F.: Also, heute geht es um die Frage einer meiner Kundinnen, die schreibt: „Mein Frauenarzt sagte, man kann an der Nabelschnur ziehen, um vorzubeugen, dass man wieder so viel Blut verliert.“
Zum Verständnis: Meine Kundin, hatte bei ihrer letzten Geburt viel Blut verloren, weil die Gebärmutter sich nicht richtig zusammengezogen hat – es war eine Hausgeburt. Was sagst Du dazu? Ich dachte, man solle nicht an der Nabelschnur ziehen?
J.S.: What? Blödsinn.
P.F. Meine Kundin hat es ihrer Hebamme erzählt und ist jetzt verunsichert. Sie schreibt weiter: „Heute war eine Hebamme bei uns und ich bin hin und her gerissen. Wir verstehen uns gut. Sie macht Vorsorge und Wochenbett. Allerdings als ich gesagt habe, ich möchte eben auch auf die neue Geburt vorbereitet sein, habe ich ihr erzählt, dass mein Frauenarzt sagte, man kann dann eben an der Nabelschnur ziehen um vorzubeugen, dass man wieder soviel Blut verliert. Und sie hat das bestätigt und auch (sehr) befürwortet. Jetzt bin ich mir unsicher…
J.S.: Ich bin ein bisschen irritiert, dass eine Hebamme das bestätigt bei so einer Formulierung. Also, es gibt ja verschiedene Arten der Plazentageburt. Die ja erstmal von der Natur vorgesehene, ist die, dass die Plazenta sich löst und die Frau in irgendeiner aufrechten Position, erst ihr Kind und anschließend ihre Plazenta hinterher gebiert, indem sie mitdrückt, indem sie spürt, sie hat Nachwehen, leicht mitschiebt und dann eben diese Plazenta aus ihr heraus plumpst.
Eine andere Form, die ich auch manchmal mache, vor allem wenn die Frauen mit ihrem Kind im Bonding in Seiten – oder in Rückenlage liegen, ist Cord Traction zu machen, sprich leichten Zug auf die Nabelschnur zu geben und die Frau mitschieben zu lassen. Einfach damit die Frau weiß in welche Richtung. Die Plazenta würde ich auch in Führungslinie auf Zug halten, und im Grunde gebe ich nur die Richtung und einen Impuls vor und die Frau gebiert ihre Plazenta.
P.F.: Wie sieht es in den Kliniken aus?
J.S.: In den Kliniken erfolgt das ja ganz häufig so, dass die Frauen prophylaktisch nach der Geburt des Kindes und nach dem Abnabeln 3 Einheiten Oxytocin erhalten, was dazu führt, dass sie eine heftige Kontraktion bekommen oder heftigere Kontraktionen, die dazu führen, dass die Plazenta sich schneller ablöst und die Gebärmutter sich doller zusammenzieht und es dadurch bedingt zu weniger Blutverlust kommt. Das würde mir jetzt irgendwie logisch erscheinen.
P.F.: Also kann man den Satz „man kann an der Nabelschnur ziehen, um vorzubeugen, dass man wieder so viel Blut verliert“ eigentlich so nicht stehen lassen.
J.S.: Das pure Ziehen an der Nabelschnur ist hochgradig gefährlich. Also erstens, wenn man zu starken Zug aufbaut, tut es weh – vor allem, wenn die Plazenta nicht gelöst ist! Also an der Plazenta zu ziehen, wenn diese nicht gelöst ist, tut der Frau weh, kann zu einem Nabelschnur Abriss führen, kann dazu führen, dass ein Stück der Plazenta drinbleibt – das wiederum führt zu mehr Blutung! Also ich merke, ich echauffier mich gerade so ein bisschen – ich kann mir einzig und allein vorstellen, dass es in irgendeiner Form eine Art Kommunikationsfehler ist.
P.F.: Ja, vielleicht ist es so. Leider bleibt die Frau mit diesem Missverständnis zurück. Ich frage mich oft, WARUM fragt die Frau nicht genauer nach. Warum fragt ein Paar während der Geburt nicht genauer nach? Genau durch diese Art der ungenauen Kommunikation entsteht viel Angst und Stress, auch noch für spätere Geburten. Was haben also der Gynäkologe und die Hebamme gemeint?
J.S.: Wahrscheinlich also meinten die beiden eine aktive Plazentagewinnung, sprich dass 3 Einheiten Oxytocin gegeben werden und dass dann die Plazenta relativ schnell mit Unterstützung von Cord Traction geboren wird. Durch die Gabe von Oxytocin werden mehr Kontraktionen angeregt, was statistisch, Studien technisch schon zu einer geringeren Blutung führt. Das halte ich aber jetzt nicht für so eklatant, dass wir da sagen, sonst wären das z.B. ein Liter (Blutverlust) und jetzt sind es nur 200ml (mit Cord Traction).
Die Studienlage sagt, wenn ich mich recht entsinne, das mit dem Geben der 3 Einheiten Oxytocin und einer aktiven Plazentarperiode vor Blutungen zwischen 500 – bis 500 ist ja physiologisch – und 1000ml reduziert werden, das wäre also eine Atomie 1. Grades.
Abschließend gesagt, pures Ziehen an der Nabelschnur – ich würde sagen, das ist ein Kunstfehler: Nicht gelöste Plazenta – Ziehen an der Nabelschnur – gewaltvolles Herausmanövrieren der Plazenta – anders kann ich das nicht beschreiben – ist für mich ein Kunstfehler. Also, ich kann mir nicht vorstellen, dass sowohl Gynäkologe, also auch Hebamme, das meinten. Das muss, wie gesagt, ein Kommunikationsfehler sein.
P.F.: Hab tausend Dank – sehr aufschlussreich. Wird Cord Traction also besonders in diesem Zusammenhang empfohlen?
J.S.: Ja, also das eine kann auch unabhängig von dem anderen stattfinden, wie gesagt – bei gelöster Plazenta, insbesondere im Liegen, kann Cord Traction manchmal nötig sein – die Nabelschnur auf Spannung zu halten, damit die Frau ein besseres Gefühl dafür bekommt, wo sie hindrücken muss. Da müssen nicht vorher 3 Einheiten Oxytocin gegeben werden.
In Regel ist das in der Klinik aber so, und vor allem, wenn Du das in irgendeiner Form als Blutung Prophylaxe machen willst, macht es Sinn 3 Einheiten Oxytocin zu geben. Das macht sogar mehr Sinn, als an der Nabelschnur zu ziehen, weil bei gelöster Plazenta ist es ja egal, ob Du ziehst oder nicht. Es blutet vielleicht einen Hauch mehr, wenn die Gebärmutter sich nicht gut zusammenziehen kann. In Regel arbeitet die dann aber und die Frau hat massive Nachwehen und daraufhin macht man dann vielleicht eine aktive Leitung der Plazentarperoide.
Wissenswertes zum Thema
Aktive Plazentarperiode – was ist das?
Die Phase nach der Kindsgeburt bis zur vollständigen Geburt der Plazenta wird auch Plazentarperiode genannt. Während dieser Phase kann es zu hohen Blutverlusten kommen, etwa durch Rissverletzungen der Geburtswege, Blutungen an der Gebärmutter (Uterusatonie) mit oder ohne Plazentaretention. Als Plazentaretention (lat. Retentio placentae) wird in der Geburtshilfe die Nichtausstoßung, das Verhalten des Mutterkuchens, oder Teile davon, nach Geburt genannt.
Dies sind die Hauptursachen für hohe Blutverluste, die unverzüglich operative und medikamentöse Maßnahmen erforderlich machen können. Eine atonische Nachblutung (Uterusatonie) liegt vor, wenn der Blutverlust nach vaginaler Geburt mehr als 500 ml bzw. nach Sectio mehr als 1000 ml beträgt. Ursächlich ist eine inadäquate Uteruskontraktion.
Die Gabe von Oxytocin als Kontraktionshilfe
Mögliche Nebenwirkungen von Syntocinon
Syntocinon als Nasenspray beim Stillen
Der Wirkstoff von Syntocinon ist ein synthetisch hergestelltes Eiweiß Hormon, das identisch ist mit dem natürlichen, menschlichen Hormon Oxytocin, welches im Hinterlappen der Hirnanhangsdrüse produziert wird. Für eine normale Wehen Tätigkeit ist Oxytocin, das die glatte Muskulatur der Gebärmutter zu stimulieren vermag, absolut notwendig.
Neben der Wirkung an der Gebärmutter erzeugt Oxytocin auch eine Kontraktion der muskulären Elemente der Brustdrüse. Damit wird der Milchaustritt gefördert und das Stillen erleichtert. Es bewirkt jedoch keine Steigerung der Milchproduktion.
Syntocinon Nasenspray verwenden Sie nur auf Verschreibung des Arztes oder der Ärztin. Er eignet sich zur Förderung der Milchentleerung beim Stillen oder zum Abpumpen der Milch, und damit kann Syntocinon Nasenspray auch bei der Verhütung einer Brustdrüsenentzündung mithelfen.
Was ist Cord Traction?
Cord Traction von englisch: cord – Schnur und traction – Zugkraft
Die Cord Traction bzw. der „Zug an der Nabelschnur“ ist eine geburtshilfliche Methode zur manuellen Ablösung der Plazenta nach der Geburt.
Wie wird eine Cord Traction durchgeführt?
Die Nabelschnur wird abgeklemmt und mit einer Hand umfasst. Die andere Hand liegt auf der mütterlichen Bauchdecke. Während einer Kontraktion des Uterus wird durch den sogenannten Handgriff nach Brandt-Andrews die Bauchdecke oberhalb der Symphyse eingedrückt. Dadurch wird die Geburtslinie für die Plazenta gestreckt und der Uterus gestützt. Zur selben Zeit zieht der Geburtshelfer im Rahmen der Cord Traction vorsichtig und dosiert an der Nabelschnur.
Gelingt eine Cord Traction immer problemlos?
Falls die Plazenta durch die Cord Traction und den Handgriff nach Brandt-Andrews nicht folgt, sollte das Manöver abgebrochen werden. Zudem sollte die Cord Traction nur bei vorliegenden Lösungszeichen Anwendung finden.
Komplikationen versus Nutzen der Cord Traction Praxis
Komplikationen im Rahmen einer Cord Traction sind eine ausbleibende oder unvollständige Lösung der Plazenta. Darüber hinaus kann die Nabelschnur reißen oder eine Blutung auftreten. Eine Inversio uteri oder Placenta incarcerata sind.
Zug an der Nabelschnur um die Plazenta zu entbinden
Als Nachgeburtsphase bezeichnet man die Zeit zwischen der Geburt des Kindes und dem kompletten Ausstoßen der Plazenta. Ein gewisser Blutverlust nach der Geburt des Kindes aufgrund der Plazentalösung ist normal. Schwere Nachgeburtsblutungen (PPH) sind eine der Hauptursachen für den Tod von Müttern sowohl in einkommensstarken als auch in einkommensschwachen Ländern. Als „aktive Leitung der Nachgeburtsphase“ bezeichnet man folgende Interventionen: die Mutter bekommt ein Medikament (normalerweise per Injektion), um der Gebärmutter zu helfen sich zu kontrahieren, die Nabelschnur wird durchtrennt und an der Nabelschnur wird mit gleichzeitigem Gegendruck auf die Gebärmutter gezogen, um bei der Entbindung der Plazenta zu helfen (kontrollierter Nabelschnurzug, CCT). Dies kann für die Mutter unangenehm sein und im Widerspruch zu ihrem Wunsch nach einer natürlichen Geburt stehen. Das geburtshilfliche Personal braucht ein spezielles Training um eine CCT auszuführen.
Dieser Review randomisierter kontrollierter Studien beinhaltet drei Studien, die Frauen mit Vaginalgeburten einschließen. Die Studien waren methodologisch gut und die Ergebnisse konsistent. Eine der Studien war eine große Studie mit 23.000 beteiligten Frauen aus acht Ländern, eine andere wurde an verschiedenen Orten in Frankreich mit über 4.000 Frauen durchgeführt und eine Studie aus Uruguay mit fast 200 Frauen, wurde an einem einzelnen Zentrum durchgeführt. Schwere PPH (Blutverlust > 1000 ml) wurde durch kontrollierten Zug an der Nabelschnur (CCT) nicht eindeutig verringert, aber CCT führte zu einer kleinen Reduktion von PPH (Blutverlust > 500ml) und des durchschnittlichen Blutverlusts. Das Risiko die Plazentalösung manuell durchführen zu müssen wurde verringert. Wenn das geburtshilfliche Personal den kontrollierten Zug an der Nabelschnur sicher beherrscht, sollte die Maßnahme empfohlen werden.
Schlussfolgerungen der Autoren:
Unter Umständen hat CCT den Vorteil das Risiko einer manuellen Plazentalösung zu verringern. Evidenz weist darauf hin, dass CCT routinemäßig in der Nachgeburtsperiode angeboten werden kann, vorausgesetzt das geburtshilfliche Personal hat die notwendige Ausbildung. CCT sollte eine Kernkompetenz von ausgebildetem geburtshilflichem Personal bleiben. Jedoch würde der begrenzte Nutzen der CCT bezüglich einer schweren Nachblutung (PPH) nicht die erhebliche Investition rechtfertigen, welche für ein Training in CCT-Fähigkeiten für nicht formelle ausgebildete Hebammen benötigt würde. Frauen, die eine interventionsärmere Nachgeburtsleitung bevorzugen, kann versichert werden, dass bei Verabreichung eines Uterotonikums, CCT aus dem Maßnahmenpaket des aktiven Managements der Nachgeburtsphase weggelassen werden kann, ohne das Risiko einer schweren Nachblutung zu erhöhen, sich das Risiko einer manuellen Plazentalösung jedoch erhöhen könnte. Es gibt Forschungslücken bezüglich der Anwendung von CCT ohne die Verabreichung eines Uterotonikums und der Rolle der Uterusmassage in der Leitung der Nachgeburtsphase.
Weiterführende Literatur:
Pschyrembel – Baer-Handgriff
Aachener Hebammenteam – Handbuch für die Hebamme
S3-Leitlinie Vaginale Geburt am Termin
Hebammenkunde – Geist et al.